Wort des Lebens für Juli 2016

„Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat.“

Gibt es etwas Schöneres, als wenn uns jemand sagt: „Ich hab’ dich gern“? Wenn ein Mensch da ist, der uns mag, dann fühlen wir uns nicht mehr allein. Wir haben den Eindruck, dass jemand hinter uns steht und dass wir auch schwierige und kritische Situationen angehen können. Und je mehr das Gernhaben auf Gegenseitigkeit beruht, desto mehr wächst das Gefühl von Hoffnung, Zuversicht und Sicherheit. Wir alle wissen, dass Kinder für eine gesunde Entwicklung eine Umgebung brauchen, die von Wohlwollen, Zuwendung und Liebe geprägt ist. Aber das gilt für jedes Lebensalter. Dieses „Wort des Lebens“ lädt uns dazu ein, einander mit Wohlwollen zu begegnen, einander gernzuhaben. Und es stellt uns Gott als Beispiel dafür vor Augen.

Eben dieses Beispiel macht uns klar, dass Gernhaben nicht nur eine Sache der Gefühle ist. Es geht darum, sehr konkret das Wohl des anderen zu wollen. In Jesus Christus hat sich Gott an die Seite der Kranken und Armen gestellt, hat Mitleid für die Menschenmenge empfunden, hat Barmherzigkeit gegenüber den Sündern praktiziert, hat sogar denen vergeben, die ihn gekreuzigt haben.

Das Wohl des anderen zu wollen, bedeutet daher auch für uns: zuhören, echte Aufmerksamkeit zeigen, Freuden und Prüfungen teilen, für die anderen sorgen und sie auf ihrem Weg begleiten. Die anderen sind nie Fremde, sondern immer ein Bruder, eine Schwester, die zu mir gehören und die einen Anspruch auf mich haben. Das ist das Gegenteil von dem, was uns leider täglich in den Nachrichten vor Augen geführt wird, wo man oft den anderen nur als Konkurrenten, Gegner oder gar Feind sieht, ihm Schlechtes wünscht, ihn niedermacht oder gar vernichtet. Bestimmt sind wir davon überzeugt, dass wir nicht so sind. Aber seien wir ehrlich: Stauen sich nicht auch bei uns Ärger, Misstrauen und Feindseligkeit oder zumindest Gleichgültigkeit und Desinteresse gegenüber denen auf, die uns schlecht behandelt haben, uns unsympathisch sind oder nicht zu unserem eigenen Lebensumfeld gehören?

Das Wohl des anderen zu wollen – so lehrt es uns dieses Wort des Lebens –, bedeutet, den Weg der Barmherzigkeit einzuschlagen und einander jedes Mal zu verzeihen, wenn wir Fehler machen. Chiara Lubich berichtete in diesem Zusammenhang, dass sie am Anfang der Gemeinschaftserfahrung, aus der die Fokolar-Bewegung entstanden ist, mit ihren Freundinnen einen „Pakt der gegenseitigen Liebe“ geschlossen hat. Und doch sei es ­– besonders am Anfang – für eine Gruppe von Mädchen und jungen Frauen nicht immer so einfach gewesen, mit Entschiedenheit in der Haltung der Liebe zu bleiben. „Auch wenn Gott uns mit seiner Gnade unterstützt hat, so waren wir doch wie alle anderen. Auch auf unsere Beziehungen konnte sich Staub ablegen. Die Einheit unter uns konnte nachlassen. Das war vor allem dann der Fall, wenn wir besonders auf die Schwächen und Unvollkommenheiten der anderen achteten und darüber urteilten. Dann wurde der Strom der gegenseitigen Liebe unter uns unterbrochen. Um etwas dagegen zu tun, kamen wir eines Tages auf die Idee, unter uns einen Pakt zu schließen, den wir den „Pakt der Barmherzigkeit“ nannten. Das bedeutete: Wir wollten jeden Morgen die Menschen, denen wir in unserer Fokolar-Gemeinschaft, in der Schule, bei der Arbeit begegneten, mit ganz neuen Augen sehen, nicht mehr an ihre Macken und Fehler denken, sondern alles mit Liebe zudecken. Wir wollten im Herzen eine Art Generalamnestie vollziehen und alles verzeihen. Es war eine anspruchsvolle Verpflichtung, die wir da alle miteinander eingingen. Sie half uns dabei, in der Liebe immer die Initiative zu ergreifen, so wie es Gott ja auch tut, der vergibt und vergisst.“1

Ein „Pakt der Barmherzigkeit“! Wäre das nicht ein guter Weg, um in der Güte zu wachsen?

Fabio Ciardi

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1) Chiara Lubich, Die Nächstenliebe, Unterredung mit muslimischen Freunden. Castel Gandolfo, 1. November 2002

 

 

© Alle Rechte an der deutschen Übersetzung beim Verlag NEUE STADT, München

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